Handlungsleitfaden für den Umgang mit einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung durch Externe und Interne
- Der Schutz des Kindes steht im Vordergrund.
- Es muss bedacht werden, dass jeder Fall anders ist.
- Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren, da voreiliges Handeln schaden kann. Der Verdacht oder die Gewissheit, dass sexualisierte oder körperliche Gewalt bzw. massive Vernachlässigung vorliegt, erfordert behutsames und besonnenes Vorgehen.
- Mitarbeiter/-innen sollten mit dem Verdacht nie alleine bleiben. Sie sollten sich mit Kolleg/-innen und Ihrem Team zusammenschließen. Sehr wichtig: Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung muss der/die jeweils zuständige Schutzbeauftragte des Albert-Schweitzer-Familienwerks verständigt werden. In der Regel ist die Leitung zu verständigen, besonders, wenn sich der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung verdichtet.
- Der/die Schutzbeauftragte nimmt Kontakt mit der Koordinatorin der Schutzbeauftragten, Frau Klein, auf, um sich über das weitere Vorgehen kurzzuschließen und ob der „Fall“ an den Bereichsleiter und an den geschäftsführenden Vorstand gemeldet werden muss. Die Koordinatorin der Schutzbeauftragten geht analog genauso vor, in dem sie gegebenenfalls Kontakt mit einer Kollegin oder mit einem Kollegen aus dem Kreis der Schutzbeauftragten aufnimmt und das weitere Vorgehen mit diesem abgestimmt.
- Es wird geklärt, wer die Federführung in dem Fall übernimmt. Häufig wird das der Schutzbeauftragte sein.
- Es kann sein, dass sich Kinder und Jugendliche oder auch Mitarbeiter/-innen an einen Kollegen, Kollegin, Vorgesetzten oder den Schutzbeauftragten wenden und um Vertraulichkeit bitten. In so einem Fall muss derjenige einschränkend klarstellen, dass er sich nicht ins Vertrauen ziehen lassen möchte und dann trotz relevanter Informationen nicht handeln kann. Es gilt vorab klarzustellen, dass die Vertraulichkeit auch klare Grenzen hat, wenn es um das Wohl der Kinder und Jugendlichen, anderer Mitarbeiter oder der Institution als Ganzes geht. Gleichzeitig sollten im Gespräch die Hintergründe für die Bitte um Vertraulichkeit herausgefunden werden, um hier durch Aufklärung und Information ggfs. Ängsten entgegenzuwirken.
Um den Erfordernissen des Datenschutzes und der Schweigepflicht Genüge zu tun, sollten im internen Beratungsprozess die persönlichen Daten des Kindes anonymisiert oder pseudonymisiert werden. (§ 64 Abs. 2a SGB VIII) Vor der Weitergabe von Informationen an Dritte muss eine Schweigepflichtentbindungserklärung entweder vom Jugendlichen oder den Sorgeberechtigten eingeholt werde. (§ 203 StGB) Falls diese die Erklärung verweigern, muss auf jeden Fall Rücksprache mit dem Bereichsleiter oder Geschäftsführer gehalten werden, um zu prüfen, ob ein rechtfertigender Notstand gegeben ist. (§34 StGB).
- Alle weiteren Schritte werden mit dem Schutzbeauftragten als unserem Experten abgestimmt. Überlegungen, die dabei eine Rolle spielen können sind:
- In der Regel sollten die Betroffenen – wo es nicht zu Überforderungen führt – in Ihre Vorgehensweise und Entscheidungen möglichst mit einbezogen werden.
- Nicht aufdeckend arbeiten d. h., die Aufgabe ist es nicht, den Täter oder die Täterin zu stellen. Stattdessen: Es sollen Beobachtungen und wörtliche Aussagen notiert sowie beispielsweise Bilder vom Kind beschriftet und gesammelt werden. Es geht darum, fachlich einzuschätzen, was mit dem Kind los ist. Es können auch andere Gründe, als sexualisierte oder körperliche Gewalt bzw. massive Vernachlässigung sein. Die Mitarbeiter setzen sich dabei mit ihrem eigenen Beobachtungen, Wertungen, Zweifeln, Ängsten und Unsicherheiten auseinander, es muss gemeinsam geklärt werden, wer als beste/r Ansprechpartner/-in für das Kind infrage kommt.
- In der Zeit der Abklärung ist es wichtig, dem Mädchen oder Jungen – dessen Vertrauen massiv missbraucht wurde – in der Einrichtung einen verlässlichen und unterstützenden Rahmen zu bieten. Grundsätzlich muss signalisiert werden, dass dem Kind geglaubt wird. Es sollte keinesfalls mit Vorwürfen reagiert werden sondern signalisiert werden: Ich bin da, mit mir kannst Du reden. Es ist in Ordnung, dass Du mir das gesagt hast, das war sehr mutig von Dir; ein Geheimnis, das Dir Angst macht, Bauchweh macht … Ist kein Geheimnis, sondern eine Drohung – und das darfst, sollst Du sogar weitererzählen, damit Du Hilfe bekommst. Es ist nicht in Ordnung, was der/die mit dir macht …
- Dem Kind nichts versprechen, was Sie nicht einhalten können. Hilfreich sind Materialien, die Themen wie „Gefühle“, „Körper“, „Geheimnisse“, „Nein-sagen“, „Hilfe holen“ „sexuelle Gewalt“ usw. behandeln.
- Es kann eventuell auch hilfreich sein, sich zusätzlich außerhalb des Albert-Schweitzer-Familienwerks fachkompetente Unterstützung zu holen.
- Supervision zur Planung und Reflexion der weiteren Vorgehensweise und zur eigenen Psychohygiene kann ebenfalls wertvoll sein.
- Das Jugendamt (ASD) muss eingeschaltet werden, wenn sich der Verdacht begründet oder erhärtet. Das Jugendamt übernimmt häufig ab diesem Zeitpunkt die Federführung. Gemeinsam werden nochmals die gesammelten Fakten einer Überprüfung unterzogen. Es werden weitere Schritte, oft auch im Rahmen einer Helferkonferenz, abgestimmt.
- Ob eine Strafanzeige im Interesse des Kindes/des Jugendlichen ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Keiner ist persönlich zu einer Anzeige verpflichtet! Steht eine Strafanzeige im Raum, dann muss diese immer nach Rücksprache mit dem Schutzbeauftragten, der Bereichsleitung und dem geschäftsführenden Vorstand erfolgen. Wird Strafanzeige erstattet, sollte für eine gute Prozessbegleitung und für eine anwaltliche Vertretung (Nebenklagevertretung bzw. Verfahrenspflegschaft) des betroffenen Kindes/Jugendlichen gesorgt werden.