Handlungsleitfaden für den Umgang mit einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung durch Externe und Interne

  • Der Schutz des Kindes steht im Vordergrund.
  • Es muss bedacht werden, dass jeder Fall anders ist.
  • Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren, da voreiliges Handeln schaden kann. Der Verdacht oder die Gewissheit, dass sexualisierte oder körperliche Gewalt bzw. massive Vernachlässigung vorliegt, erfordert behutsames und besonnenes Vorgehen.
  • Mitarbeiter/innen sollten mit dem Verdacht nie alleine bleiben. Sie sollten sich mit Kolleg/innen und Ihrem Team zusammenschließen Sehr wichtig: Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung muss die jeweils zuständige Kinderschutzfachkraft des Albert-Schweitzer-Familienwerks und die jeweilige Bereichsleitung verständigt werden.

 

Seit Januar 2023 können sich Mitarbeitende der Jugendhilfe auch durch die Medizinische Kinderschutzhotline unter der Nummer 0800 19 210 00 beraten lassen. Dieses, an der Universität Ulm angesiedelte und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte, telefonische Beratungsangebot berät bundesweit und kostenfrei und ist für Fachkräfte aus Heilberufen, Kinder- und Jugendhilfe und Familiengerichten bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Kindesmissbrauch 24 Stunden erreichbar.

    • Die Medizinische Kinderschutzhotline berät dazu, Ver­nach­­lässigung oder einen Missbrauch hindeuten können, an wen sich Fachkräfte für medizinische Abklärungen (z.B. ob ein Hämatom unfall- oder misshandlungsbedingt ist) wenden können, wie schnell Mitarbeitende und Fachkräfte tätig werden müssen, durch wen und wie die Verletzungen zu dokumentieren sind und beantwortet Fragen zu und Einschätzungen von vorliegenden Befunden und Gutachten.

Die Beratung der medizinischen Kinderschutzhotline ersetzt nicht die Beratung einer insoweit erfahrenen Fachkraft. Die medizinische Kinderschutzhotline kann aber bei medizinischen/gesundheitlichen Fragen zum Kinderschutz zusätzlich hinzugezogen werden und eine wertvolle Hilfestellung geben.

 Hinweis für die Schulen: Bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ist immer die Bereichsleitung zu informieren! Diese koordiniert zunächst zusammen mit dem Team und der Kinderschutzfachkraft die weiteren Schritte. In Absprache mit der Bereichsleitung wird die Teamleiterin den/die Schulleiter/in informieren und ihn/sie in den Prozess mit einbeziehen.

 Die Kinderschutzfachkraft nimmt Kontakt mit der Koordinatorin der Kinderschutzfachkräfte, Frau Cordes, auf, um sich über das weitere Vorgehen kurzzuschließen und ob der „Fall“ an den Geschäftsführenden Vorstand gemeldet werden muss. Die Koordinatorin der Kinderschutzfachkräfte geht analog genauso vor, in dem sie gegebenenfalls Kontakt mit einer Kollegin oder mit einem Kollegen aus dem Kreis der Kinderschutzfachkräfte aufnimmt und das weitere Vorgehen mit diesem abgestimmt.

  • Zur Dokumentation, Zusammenfassung der wichtigsten Punkte und als Vorbereitung für Gespräche liegt als unterstützendes Werkzeug der Dokumentationsbogen „Verdacht auf Kindeswohlgefährdung“ vor, der für interne Abläufe vorgesehen und zu dokumentieren ist. Sie finden ihn auf der Mitarbeiterhomepage unter „Gut zu wissen“ www.albert-schweitzer.org.
  • Die Fallverantwortung verbleibt bei der jeweiligen Einrichtung! Alle Schritte werden mit der zuständigen Bereichsleitung besprochen. Die Kinderschutzfachkraft wird zur Beratung herangezogen und über den Verlauf informiert.
  • Es kann sein, dass sich Kinder und Jugendliche oder auch Mitarbeiter/innen an einen Kollegen, Kollegin, Vorgesetzten oder die Kinderschutzfachkraft wenden und um Vertraulichkeit bitten. In so einem Fall muss derjenige einschränkend klarstellen, dass er sich nicht ins Vertrauen ziehen lassen möchte und dann trotz relevanter Informationen nicht handeln kann. Es gilt vorab klarzustellen, dass die Vertraulichkeit auch klare Grenzen hat, wenn es um das Wohl der Kinder und Jugendlichen, anderer Mitarbeiter oder der Institution als Ganzes geht. Gleichzeitig sollten im Gespräch die Hintergründe für die Bitte um Vertraulichkeit herausgefunden werden, um hier durch Aufklärung und Information ggfs. Ängsten entgegenzuwirken. Aus pädagogischer Sicht ist es empfehlenswert im Gespräch mit dem Kind/Jugendlichen klarzustellen: „Ich entscheide nichts über deinen Kopf hinweg, hole mir selber aber Rat und Unterstützung; es geht um dein Wohl!“ (vgl. auch § 203 StGB, hier besonders unter Punkt 2. und 3.)
  • Um den Erfordernissen des Datenschutzes und der Schweigepflicht Genüge zu tun, sollten im internen Beratungsprozess die persönlichen Daten des Kindes anonymisiert oder pseudonymisiert werden (§ 64 Abs. 2a SGB VIII). Vor der Weitergabe von Informationen an Dritte muss eine Schweigepflichtentbindungserklärung entweder vom Jugendlichen oder den Sorgeberechtigten eingeholt werde (§ 203 StGB). Falls diese die Erklärung verweigern, muss auf jeden Fall Rücksprache mit dem Bereichsleiter oder Geschäftsführer gehalten werden, um zu prüfen, ob ein rechtfertigender Notstand gegeben ist (§ 34 StGB).

 Alle weiteren Schritte werden mit der Kinderschutzfachkraft abgestimmt. Überlegungen, die dabei eine Rolle spielen können sind:

  • In der Regel sollten die Betroffenen – wo es nicht zu Überforderungen führt – in Ihre Vorgehensweise und Entscheidungen möglichst mit einbezogen werden.
  • Nicht aufdeckend arbeiten, d. h. die Aufgabe ist es nicht, den Täter oder die Täterin zu stellen. Stattdessen: es sollen Beobachtungen und wörtliche Aussagen notiert sowie beispielsweise Bilder vom Kind beschriftet und gesammelt werden. Es geht darum, fachlich einzuschätzen, was mit dem Kind los ist. Es können auch andere Gründe als sexualisierte oder körperliche Gewalt bzw. massive Vernachlässigung sein. Die Mitarbeiter setzen sich dabei mit ihren eigenen Beobachtungen, Wertungen, Zweifeln, Ängsten und Unsicherheiten auseinander, es muss gemeinsam geklärt werden, wer als beste/r Ansprechpartner/In für das Kind in Frage kommt.
  • In der Zeit der Abklärung ist es wichtig, dem Kind oder Heranwachsenden – dessen Vertrauen möglicherweise massiv missbraucht wurde – in der Einrichtung einen verlässlichen und unterstützenden Rahmen zu bieten. Grundsätzlich muss signalisiert werden, dass dem Kind geglaubt wird. Es sollte keinesfalls mit Vorwürfen reagiert werden, sondern es soll signalisiert werden: Ich bin da, mit mir kannst Du reden. Es ist in Ordnung, dass Du mir das gesagt hast, das war sehr mutig von Dir; ein Geheimnis, das Dir Angst oder auch Bauchweh macht, ist kein Geheimnis, sondern eine Drohung – und das darfst, sollst Du sogar weitererzählen, damit Du Hilfe bekommst. Es ist nicht in Ordnung, was diese Person mit dir macht oder gemacht hat….
  • Dem Kind nichts versprechen, was Sie nicht einhalten können. Hilfreich sind Materialien, die Themen wie „Gefühle“, Körper“, „Geheimnisse“, „Nein-sagen“, „Hilfe holen“, „sexuelle Gewalt“ usw. behandeln.
  • Es kann eventuell auch hilfreich sein, sich zusätzlich außerhalb des Albert-Schweitzer-Familienwerks fachkompetente Unterstützung zu holen. Dies muss mit der Teamleitung und der Kinderschutzfachkraft abgestimmt werden.
  • Supervision zur eigenen Psychohygiene kann ebenfalls wertvoll sein.
  • Das Jugendamt (ASD) muss eingeschaltet werden, wenn sich der Verdacht begründet oder erhärtet. Das Jugendamt übernimmt i. d. Regel ab diesem Zeitpunkt die Federführung. Gemeinsam werden nochmals die gesammelten Fakten einer Überprüfung unterzogen. Es werden weitere Schritte, oft auch im Rahmen einer Helferkonferenz, abgestimmt.
  • Ob eine Strafanzeige im Interesse des Kindes/des Jugendlichen ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Keiner ist persönlich zu einer Anzeige verpflichtet! Steht eine Strafanzeige im Raum, dann muss diese immer nach Rücksprache mit der Kinderschutzfachkraft, der Bereichsleitung und dem Geschäftsführenden Vorstand erfolgen. Wird Strafanzeige erstattet, sollte für eine gute Prozessbegleitung und für eine anwaltliche Vertretung (Nebenklagevertretung bzw. Verfahrenspflegschaft) des betroffenen Kindes/Jugendlichen gesorgt werden.